2022 – Ein arbeitsreiches und auch erfolgreiches Jahr!
Wenn bei Datumsangaben am Jahresanfang irrtümlich teils noch das Vorjahr angegeben wird, dann ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass das neue Jahr jetzt „wirklich“ begonnen hat. Jeder Jahreswechsel gibt aber auch Anlass für einen Rück- und Ausblick. Was ist im letzten Jahr gut oder nicht gelungen, welche Herausforderungen kommen im neuen Jahr auf uns zu?
Für die Bundesvertretung der Richter:in- nen, der Staatsanwältinnen und Staatsan- wälte sowie der Richteramtsanwärter:innen (RIAA) in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) war das vergangene Jahr durchaus erfolgreich. Gemeinsam mit unseren befreundeten Standesvertretungen (Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter [RiV], Vereinigung österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte [StAV]), konnte – auch mit Unterstützung des Justizministeriums und der Dienstbehörden – viel erreicht werden. Dabei ist zunächst das erst kürzlich für das Jahr 2023 beschlossene Justizbudget, das insbesondere auch jeweils 24 zusätzliche richter- und staatsanwaltschaftliche Planstellen bringt, zu nennen. Der vormalige „Patient Justiz“ ist dem „stillen Tod“ entronnen und befindet sich auf dem Weg der Besserung. Wenn die positive Personal- entwicklung – insbesondere auch im rich- terlichen Bereich – künftig fortgeführt wird, wäre das insgesamt ein großer Gewinn für den Rechtsstaat. Jetzt gilt es gerade die belastungsmäßig besonders betroffenen Bereiche zu unterstützen und gemeinsam eine möglichst rasche und qualitätsvolle Nachbesetzung offener Planstellen sicherzustellen.
Aber auch im Dienstrecht sind nach anfänglichen Schwierigkeiten letztlich doch beachtliche Fortschritte gelungen. So wer- den gemäß der 2. Dienstrechts-Novelle 2022 – um nur einige Punkte herauszugreifen – im Aufnahmeverfahren in den richterlichen Vorbereitungsdienst (unter Einbindung der jeweils äußerungsberech- tigten GÖD und RiV im vorgelagerten Ver-fahren) die Besetzungsvorschläge künftig vom Außensenat des jeweiligen Oberlan- desgerichts an die Ressortspitze erstattet werden, die Vorschläge für die Besetzung der Planstellen der:des (Vize-) Präsident:in des Obersten Gerichtshofs künftig unter Einbindung eines eigenen Personalsenats (bestehend aus der:dem dienstältesten OLG-Präsident:in sowie den Wahlmitglie- dern des Außen- und Innensenates des OGH) erfolgen und schließlich auch eigene Planstellen für die Gruppenleiter:innen bei der WKStA geschaffen. Weiters wird die Rechtshörerschaft im RPG verankert, eine konfessionslose „Karfreitagsregelung“ auch im RStDG umgesetzt, eine Flexibilisierung für Personalsenate und -kommissionen durch Videokonferenzlösungen ermöglicht und gemäß einem (durch gewerkschaftlichen Rechtschutz erwirkten) VfGH-Erkenntnis (G 379/2021) die Anpassung von Überstundenzuschlägen für Teilzeitbe- schäftigte an jene für Vollzeitbeschäftigte dauerhaft umgesetzt, womit auch diesen künftig für Mehrdienstleistungen, die über die vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen, Zuschläge von 50 % – bzw. 100 % während der Nachtzeit – zustehen.
Überaus erfreulich ist auch die mit genann- ter Dienstrechts-Novelle vorgesehene Erhö- hung der RiAA-Gehälter. Diese steigen (im Vergleich zu den Gehaltsansätzen 2022) mit 1.1.2023 für RiAAs ohne Prüfung um + 15,6 % und für RiAAs mit Prüfung um + 25,4 %. Die GÖD-Bundesvertretung hat zuletzt ihre Bemühungen auch um diese dringend notwendige Attraktivierung für den richter- und staatsanwaltschaftli- chen Nachwuchs intensiviert. Gemeinsam mit den RiAA-Sprecher:innen aller vier OLG-Sprengel wurde ein Positionspapier mit Gehaltsvergleichen zu Juristinnen und Juristen in der Verwaltung erarbeitet, das auch bei einem Gesprächstermin dem Herrn Vizekanzler und Beamtenminister Mag. Werner Kogler übergeben wurde. Mit dem gelungenen Gehaltsabschluss der GÖD mit der Dienstgeberseite steigen überdies ab 1.1.2023 die Gehälter zwischen 9,41 % (für die geringeren Gehälter) und 7,15 % (für die höheren Gehaltsansätze). Damit konnte seitens der GÖD für alle Kolleginnen und Kollegen ein Abschluss über der Inflationsrate (6,9%) des den Gehalts- verhandlungen jeweils zugrunde gelegten Vergleichszeitraums (aktuell: 10/2021- 09/2022) erreicht werden.
Trotz dieser gehaltsrechtlichen Erfolge sind aber noch weitere gehaltsrechtliche Arrondierungen erforderlich. So wurde beim genannten Gesprächstermin gegenüber dem Herrn Vizekanzler auch die langjährige Forderung nach einer Anpassung der erstinstanzlichen richterlichen Gehälter an das erstinstanzlich-staatsanwaltschaftliche Niveau, einer Erhöhung der staatsanwaltschaftlichen Gruppen- leiter:innen-Zulage sowie einer Erhöhung der Gehaltsansätze für Richter:innen des BVwG und des BFG erneuert.
Im vergangenen Jahr erstattete auch die von Bundesministerin Dr.in Alma Zadić, LL.M. eingesetzte „Arbeitsgruppe zur Schaffung einer unabhängigen und weisungsfreien Bundesstaatsanwaltschaft“ ihren Endbericht. Teil dieser Arbeitsgruppe waren auch die Standesvertretungen (GÖD, StAV und RiV). Erfreulich ist, dass auch im Endbericht konsensual festgehalten wurde, dass laufende Strafverfahren – zum Ausschluss (auch des Anscheins) einer Einflussnahme durch die Politik und einer potentiellen Gefährdung von Strafverfahren – von der parlamentarischen Kontrolle grundsätzlich ausgenommen sein und diese Verfahren lediglich einer rechtlichen Kontrolle durch die Gerichte unterliegen sollen. Damit fußt eine zentrale Forderung der Standesvertretungen nun auch auf der Expertise dieser breit besetzten Arbeitsgruppe. Eine parlamentarische Kontrolle solle erst ab rechtskräftigem Verfahrensabschluss im Nachhinein möglich sein. Es bleibt zu hoffen, dass diese „rote Linie“ auch im politischen Diskurs berücksichtigt wird und eine allfällige Neugestaltung der staatsanwaltschaftlichen Weisungsspitze keinen Rückschritt zum bestehenden System bringt, andernfalls man dieses wichtige Reformvorhaben (einmal mehr) zurückstellen sollte.
Die Standesvertretungen haben aber auch an vielen weiteren Projekten mitgewirkt. Exemplarisch sei im Rahmen dienstrechtlicher Arrondierungen die diskutierte Annäherung der staatsanwaltschaftlichen Personalkommissionen an das System der richterlichen Personalsenate mit einer Mehrheit an gewählten Mitgliedern, oder aber die laufende Arbeitsgruppe „Metadaten“ im Bereich „Justiz 3.0“ genannt. Demnächst werden aber auch – unter maßgeblicher Beteiligung von GÖD und RiV – gemeinsam mit dem BMJ und den Dienstbehörden Arbeitsgruppen zum Pro- jekt „Aufgabenkritik“ starten. Ziel ist es, einerseits die richterlichen Entscheidungsorgane von administrativen Tätigkeiten zu entlasten und dadurch zusätzliche Kapazitäten für die rechtsprechende Kerntätigkeit zu schaffen und andererseits durch allfällige Übertragung dieser Tätigkeiten auf den Supportbereich diesen – gerade auch in pensionsantrittsstarken Zeiten – (auch gehaltsmäßig) zu attraktivieren. Aber auch zum jüngst zur Diskussion gestellten Positionspapier der Präsidentin und der Präsidenten der Oberlandesgerichte wird es wohl weitere Gespräche geben, wie eine zielgerichtete Unterstützung der Richter:innen bei ihrer fordernden Tätigkeit aussehen könnte.
Abschließend darf noch auf die intensivierte Mitgliederbetreuung seitens der GÖD-Bundesvertretung hingewiesen werden. Auch im vergangenen Jahr konnten viele Kolleginnen und Kollegen im Rahmen ihrer GÖD-Mitgliedschaft durch gewerk- schaftlichen Rechtsschutz unterstützt werden. Zahlreiche GÖD-Veranstaltungen in ganz Österreich konnten den wichtigen „Kontakt vor Ort“ weiter intensivieren. Wie bereits vormals zum Pensionsrecht, sollen im neuen Jahr die Informationsveranstaltungen zum erwähnten GÖD-Rechtsschutz, aber auch zum Thema „Radikalisierung in der Gesellschaft“ (Vortrag durch hochran- gige Vertreter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst – DSN) fortgesetzt werden (eine weitere Vortragsreihe ist in Planung). Im Laufe des neuen Jahres soll auch eine Neuauflage des GÖD-Dienstrechtshandbuchs „Ausgewählte Rechtsvor- schriften für RichterInnen und StaatsanwältInnen“ erscheinen.
Das vergangene Jahr war somit arbeitsintensiv, hat aber insgesamt auch viel Positives für die von uns vertretenen Berufs- gruppen gebracht. Selbstverständlich gibt es nach wie vor „offene Baustellen“. Die Herausforderungen im neuen Jahr werden nicht kleiner.
Mit einer starken Solidargemeinschaft sind wir Schulter an Schulter mit unseren befreundeten Standesvertretungen für die Zukunft aber gut gerüstet. Großer Dank gebührt dabei allen Mitgliedern unserer Standesvertretungen. Ihre vielfach mehrfache Mitgliedschaft – allein in der GÖD-Bundesvertretung der Richter:innen sowie der Staatsanwältinnen und Staats- anwälte durften wir im vergangenen Jahr mehr als 230 neue Mitglieder begrüßen – unterstützt das Wirken aller Standesver- tretungen maßgeblich. Denn die gewach- sene Struktur mehrfacher Standesvertretungen mit verschiedenen Schwerpunkten ist kein „Entweder-oder“, sondern – wie vor allem das zuletzt gemeinsam Erreichte zeigt – ein „Sowohl-als-auch“ im Sinne einer großen Solidargemeinschaft!
Martin Ullrich
RZ 2023 | Österreichische Richterzeitung