Justizkritik? Gerne! Aber …

Im schlimmsten Fall können Angriffe gegen die Justiz (wie der Blick auf andere europäische Länder zeigt) dazu führen, dass ein ausgewogenes demokratisches Gewaltenteilungssystem in Gefahr gerät. Der gesamte Rechtsstaat sollte Politikern daher wichtiger als Individualinteressen Einzelner sein.

Der Rechtsstaat bildet eines der fundamentalen Grundprinzipien der österreichischen Bundesverfassung und unserer demokratischen Werteordnung. Staatsanwaltschaften und Gerichte nehmen im rechtsstaatlichen System eine zentrale Rolle ein. Nicht selten sind Justizbehörden mit Fällen hoher politischer Brisanz befasst. Richterliche und staatsanwaltschaftliche Organe sind dabei allein den geltenden Rechtsnormen und nicht einer politischen Mehrheit verpflichtet. Das politische Tagesgeschehen hat keinen Einfluss auf ihre Arbeit, jegliche „politische Agenda“ ist ihnen fremd. Langt etwa eine (allenfalls auch aus politischer Motivation heraus verfasste) Anzeige bei der Staatsanwaltschaft ein, ist diese unabhängig vom Ansehen und der politischen Stellung der angezeigten Person verpflichtet, bei entsprechender Verdachtslage Erhebungen zu pflegen und den Sachverhalt, nötigenfalls auch unter Ergreifung gesetzlich vorgesehener Zwangsmaßnahmen, aufzuklären.

Eine funktionierende Justiz ist in besonders hohem Maß vom Vertrauen der Bevölkerung abhängig. Vertrauen verschafft ihr Legitimität und ist ihr wichtigstes Kapital. Dieses erwirbt sich die Justiz tagtäglich durch das unabhängige, neutrale und nur dem Gesetz verpflichtete Handeln der Richter:innen und Staatsanwält:innen stets aufs Neue. Sie stärken mit ihrer täglichen Arbeit das Vertrauen in den Rechtsstaat und lassen sich dabei weder durch mediale noch parteipolitische Zurufe beeinflussen.

Zweifellos ist auch Kritik an der Justiz im demokratischen Rechtsstaat zulässig. Rechtliche Kritik an staatsanwaltschaftlichen oder gerichtlichen Entscheidungen sollte dabei vor allem im hierfür vorgesehenen rechtlichen Verfahren vorgetragen werden, da allein die gesetzlichen Rechtsschutz- bzw Rechtsmittelinstanzen befugt sind, justizielle Entscheidungen zu bestätigen, abzuändern oder aufzuheben. Daneben stellt sich die Justiz auch der medialen, sachlich argumentierten Kritik durch Journalistinnen und Journalisten. Sie tragen durch ihre in der Regel sehr objektive, ausgewogene und auf hohem journalistischen Niveau stehende Justiz-Berichterstattung (mag sie auch im Einzelfall mit Kritik verbunden sein) zur Schaffung von Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz maßgeblich bei. Aus diesem Grund ist die Justiz zu Recht bestrebt, ihr Auftreten gegenüber Medien in Form professioneller Medienarbeit stets zu verbessern; dies mit dem Ziel, ihnen gegenüber den rechtlichen Rahmen von Entscheidungen und Verfahrensabläufen leichter verständlich zu machen.

Als weitere Variante von Justizkritik hat in den letzten Jahren vor allem „Litigation-PR“ immer mehr an Bedeutung gewonnen. Ihre Aufgabe ist es, einer medialen Vorverurteilung des Beschuldigten entgegenzuwirken und seinen Standpunkt nicht nur in Schriftsätzen gegenüber der Justizbehörde, sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit verständlich zu kommunizieren. Als Mittel der „Litigation-PR“ kommen etwa Medienaussendungen, Interviews oder Pressekonferenzen in Betracht. Ziel der Litigation-PR ist die sachliche Information der Öffentlichkeit vom eigenen Rechtsstandpunkt. Die Manipulation von Justizbehörden und der Öffentlichkeit stellt hingegen kein legitimes Ziel von Litigation-PR dar.

Besonders Politikerinnen und Politiker müssen sich bei ihrer Kritik an Vorgängen in der Justiz einem besonders hohen demokratisch-rechtsstaatlichen Anspruch stellen. Für sie gilt es als demokratisch gewählte Repräsentanten des Rechtsstaates, sich schützend vor die Justiz als dritte Staatsgewalt der Republik zu stellen. Ihre Kritik an der Justiz sollte in besonders hohem Maße sachbezogen, faktenbasiert und ausgewogen sein. Sonst läuft die Politik Gefahr, nicht nur der Justiz, sondern auch dem demokratischen Rechtsstaat insgesamt Schaden zuzufügen. Ihre Justizkritik sollte jedenfalls nie in einen Angriff gegen die Justiz an sich ausarten. Im schlimmsten Fall können Angriffe gegen die Justiz (wie der Blick auf andere europäische Länder zeigt) dazu führen, dass ein ausgewogenes demokratisches Gewaltenteilungssystem in Gefahr gerät. Der gesamte Rechtsstaat sollte Politikern daher wichtiger als Individualinteressen Einzelner sein.

Viele Aussagen von Politikern, die derzeit unter dem Deckmantel „Justizkritik“ in der Öffentlichkeit medienwirksam präsentiert werden, entfernen sich meilenweit vom aufgezeigten Rahmen sachlicher Kritik. Fern jeglicher sachbezogener Auseinandersetzung ist etwa die Unterstellung, eine Justizbehörde würde „politisch motiviert“ agieren. Bewusst übersehen wird dabei, dass in der Vergangenheit Justizbehörden gegen Politiker verschiedenster Coleur strafrechtlich ermittelt haben. Gleiches gilt für die Unterstellung, Ermittlungsbehörden würden gezielt Akten an die Medien spielen, ohne zu erwähnen, dass in diesen Causen nicht selten mehrere Beschuldigte samt jeweiligen anwaltlichen Vertretern Akteneinsicht haben und somit keineswegs ein exklusiver Zugriff allein der Strafverfolgungsbehörden auf diese Akten besteht. Warum im Übrigen Staatsanwaltschaften durch die unzulässige Weitergabe von Akteninhalten ihre eigene Arbeit erschweren sollten, konnten die diesbezüglich absurden Vorwürfe bis heute nicht darlegen. Werden Ermittlungsbehörden durch die Titulierung von Hausdurchsuchungen als „reine Show und Inszenierung“ abgewertet und wird gleichzeitig nicht erwähnt, dass Hausdurchsuchungen von einer unabhängigen Richterin bzw einem Richter beschlussmäßig genehmigt werden müssen, ist das zulässige Maß jedenfalls überschritten. Werden sogar einzelne Entscheidungsorgane in untergriffiger Weise öffentlich diffamiert und vor die Öffentlichkeit gezerrt, stellt dies einen offen vorgetragenen Angriff auf eine rechtsstaatliche Institution dar und ist als schikanöser Einschüchterungsversuch ganz und gar inakzeptabel. 

Werden derartige Angriffe fortgesetzt, besteht die reale Gefahr, aus rein politischem Kalkül die Glaubwürdigkeit eines funktionierenden Rechtssystems in der Öffentlichkeit (nach dem Motto: „Steter Tropfen höhlt den Stein“) zu untergraben.

Als Standesvertreterinnen und Standesvertreter können wir uns nur schützend vor die Justiz und ihre Behörden stellen und wiederholt mit Vehemenz auf ein Ende der unsachlichen Angriffe gegen die Justiz drängen. Die Justiz genießt in Österrreich hohes Vertrauen. Dies soll so bleiben. Im Interesse des Rechtsstaats und uns aller.

Peter W. Egger

RZ 2021 | Österreichische Richterzeitung